14.11.2018

Zeitungsartikel (Echo): "Darmstädter Hilfe" ist Anlaufstelle für Opfer und Zeugen

von Kerstin Schumacher

Die „Darmstädter Hilfe“ berät seit Mai Opfer und Zeugen von Straftaten sowie deren Angehörige. Bislang haben sich 80 Betroffene gemeldet, denen Schlimmes widerfahren ist.

DARMSTADT - Von Beleidigung über Körperverletzung bis hin zu Mord: „Wir haben mit dem gesamten Spektrum des Strafgesetzbuches zu tun“, sagt Traumapädagogin Julia Pohl von der Opfer- und Zeugenhilfe Darmstadt. „Zu uns kann jeder kommen, der professionelle Beratung braucht, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Delikt.“ Doch nicht nur Opfer werden betreut, sondern auch ihre Angehörigen sowie Zeugen von Straftaten.
Seit sechs Monaten gibt es die „Darmstädter Hilfe“ an der Büdinger Straße. In dieser Zeit hat sich die Einrichtung zum Anlaufpunkt für Menschen entwickelt, denen Schlimmes widerfahren ist und die ihre Erfahrungen nicht alleine bewältigen können.
Da ist die Frau, die Zeugin eines Mordes wurde, der junge Mann, der Opfer eines Raubüberfalls wurde, die Seniorin, die Kriminelle um mehrere zehntausend Euro betrogen haben – etwa 80 Fälle haben Julia Pohl und ihre Kollegin Karin Bernet, Fachberaterin für Psychotraumatologie und Kinderschutzfachkraft, inzwischen begleitet. „Zu uns kommen Menschen aus ganz Südhessen“, erklärt Bernet. Die Darmstädter Hilfe ist zuständig für die Kreise Bergstraße, Odenwald, Groß-Gerau und Darmstadt-Dieburg sowie die Stadt Darmstadt.
Die meisten Klienten sind im Alter von 30 bis 60 Jahren, gefolgt von den 18- bis 30-Jährigen. In dieser Gruppe sind die meisten männlich, insgesamt überwiegen mit 73 Prozent aber weibliche Hilfesuchende. Dass die Arbeit der Darmstädter Hilfe von Beginn an so gut angenommen wurde, hat die Fachberaterinnen gleichermaßen überrascht wie erfreut. „Am 16. Mai haben wir offiziell eröffnet und am Tag darauf rief der erste Klient an“, erinnert sich Julia Pohl.
Der Erfolg zeigt, dass das Angebot eine Lücke schließt. Während es solche Hilfeeinrichtungen in allen Regionen Hessens bereits seit Längerem gibt, ist das Angebot in Südhessen vergleichsweise spät hinzugekommen. Die Hilfe ist niedrigschwellig, Betroffene können einfach vorbeikommen oder telefonisch einen Termin vereinbaren. Anträge müssen nicht gestellt werden, zudem ist die Beratung kostenlos und anonym – „außer Kinder sind von Verbrechen betroffen“, stellt Karin Bernet klar.
Die „Top-5-Straftaten“, mit denen es Julia Pohl und Karin Bernet zu tun haben sind Körperverletzung, Bedrohung und Belästigung (Stalking), sexualisierte Gewalt, Raub sowie Mord und Totschlag. „Aber auch Betrügereien sind im Kommen“, lautet die Erfahrung von Karin Bernet. Der sogenannte Enkeltrick verbreite sich immer weiter. Dabei werden vor allem ältere Menschen Opfer von skrupellosen Verbrechern, die sie mit Anrufen und Lügen so lange unter Druck setzen, bis sie einem Fremden ihr gesamtes Erspartes übergeben, das als Altersvorsorge gedacht war. „Das trifft mich, weil das einfach so gemein ist“, sagt Bernet.
„Mich berührt, wie junge, unabhängige Menschen durch ein unvorhergesehenes Ereignis in ihrer Lebensführung beeinträchtigt werden“, sagt Julia Pohl, darunter gestandene Managerinnen, die arbeitsunfähig sind oder junge Männer, die sich plötzlich nicht mehr aus dem Haus trauen. „Diese Menschen müssen wir stabilisieren, damit sie sich wieder in den Alltag einfinden.“
Wenn es um die psychischen Folgen geht, „kann man nicht pauschal sagen, eine Körperverletzung ist schlimmer als ein Taschendiebstahl“, erklärt Julia Pohl. Ein Wohnungseinbruch kann die gleichen Folgen für die Psyche haben wie ein Raubüberfall. Das wiederum drückt sich mit körperlichen Symptomen aus: Schlaflosigkeit, Panikattacken, Herzrasen. Bei Julia Pohl und Karin Bernet finden Betroffene einen geschützten Raum, in dem sie über Erlebtes sprechen können – wenn es sein muss, immer und immer wieder, bis eine Besserung eintritt. Die Beratung ist zeitlich nicht begrenzt.
Finanziert wird die Darmstädter Hilfe zum Teil vom Hessischen Justizministerium. Nach einer etwas höheren Anschubfinanzierung sinkt der finanzielle Beitrag der hessischen Landesbehörde ab 2019 auf 25 Prozent der Kosten. Weiteres Geld spülen Geldauflagen des Oberlandesgerichtes Frankfurt in die Kasse, denn die werden an gemeinnützige Vereine verteilt. Die übrigen Kosten müssen durch Spenden gedeckt werden.
 
Link zum Artikel: https://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/darmstadter-hilfe-ist-anlaufstelle-fur-opfer-und-zeugen_19179550